Der Geisterseher

Der Geisterseher ist ein Romanfragment Friedrich Schillers, das in mehreren Fortsetzungen zwischen 1787 und 1789 in der Zeitschrift Thalia erschien und später in drei Buchausgaben veröffentlicht wurde. Zeittypische Elemente wie Geisterbeschwörung, Spiritismus und Verschwörungen verknüpfend, kam der Text der Leseerwartung entgegen und brachte Schiller zu Lebzeiten den größten Publikumserfolg ein. Die romantische Schauer- und deutschsprachige Kriminalliteratur wurden durch ihn nachhaltig beeinflusst.

Schiller beschreibt in seiner Erzählung die Intrige einer jesuitischen Geheimgesellschaft, die einen protestantischen Prinzen zum Katholizismus bekehren und ihm zugleich die Krone in seinem Stammland sichern will, um dort die eigene Machtbasis auszubauen. Am Schicksal des Prinzen verdeutlicht Schiller den für ihn zentralen Konflikt zwischen Leidenschaft und Sittlichkeit, Neigung und Pflicht. In den religions- und geschichtsphilosophischen Passagen des Werkes zeigen sich seine Ideale der Aufklärung als Religions- und Gesellschaftskritik, die bereits auf die spätere intensive Beschäftigung mit Immanuel Kant hindeuten.

Stil und Struktur des Werkes sind wegen der schleppenden Entstehung und Schillers Abneigung gegenüber dem Projekt nicht einheitlich und reichen von rhetorisch stilisierter Prosa über dramatische, an Don Karlos erinnernde, Dialoge bis zu Kolportageelementen der Unterhaltungsliteratur.

By : Friedrich Schiller (1759 - 1805)

01 - Erstes Buch 1



02 - Erstes Buch 2



03 - Erstes Buch 3



04 - Erstes Buch 4



05 - Erstes Buch 5



06 - Erstes Buch 6



07 - Erstes Buch 7



08 - Zweites Buch 1



09 - Zweites Buch 2



10 - Zweites Buch 3



11 - Zweites Buch 4



12 - Zweites Buch 5



13 - Zweites Buch 6



14 - Zweites Buch 7



15 - Zweites Buch 8



16 - Zweites Buch 9


Erzählsituation

Die Handlung ist den fiktiven Memoiren des Grafen von O**. entnommen, die dem Leser von einem Herausgeber, der in der Thalia-Erstfassung mit S. unterschriebene Fußnoten-Kommentare beisteuert, vorgestellt wird. Darin beschreibt der Graf als Ich-Erzähler die Geschichte eines Prinzen, den er zur Karnevalszeit in Venedig besucht. Gleich zu Anfang betont der Graf, dass es sich um eine unglaublich scheinende Begebenheit handele, deren Augenzeuge er selbst gewesen sei und die er wahrheitsgetreu berichten wolle, denn „wenn diese Blätter in die Welt treten, bin ich nicht mehr und werde durch den Bericht, den ich abstatte, weder zu gewinnen, noch zu verlieren haben.“ Während im ersten Buch der Graf Augenzeuge aller wichtiger Ereignisse ist, gibt er im zweiten Teil die 10 Briefe des Baron von F** wieder, der ihn während seiner Abwesenheit von Venedig über den Fortgang der Ereignisse informiert.

Erstes Buch

Der Prinz begegnet dem Armenier
Der Prinz, ein zurückhaltender, in seine Phantasiewelt verschlossener, melancholisch-ernster Charakter, hat sich in Venedig zurückgezogen und glaubt, in dieser „wollüstigen Stadt“ inkognito leben zu können. Er möchte sich frei und ohne Standespflichten entfalten, in der Zurückgezogenheit ein ruhiges Privatleben führen und sich nur mit geistvollen Dingen befassen. Seine geringen finanziellen Mittel hätten es ihm ohnehin nicht erlaubt, seinem Rang gemäß aufzutreten. So umgibt er sich mit wenigen, ihm ergebenen Vertrauten. Als dritter Erbfolger hat er keinen Ehrgeiz, die Regierungsgeschäfte in seiner Heimat zu übernehmen.

Eines Abends werden der Graf und er bei einem Spaziergang über den Markusplatz von einem maskierten Mann verfolgt, einem Armenier. Dieser erreicht sie schließlich durch das Gedränge und raunt einige seltsame Worte: „Wünschen Sie sich Glück, Prinz...um neun Uhr ist er gestorben.“ Rasch entfernt er sich und wird auch nach langer Suche nicht entdeckt. Sechs Tage später erfährt der Prinz, dass am Abend der unheimlichen Begegnung um neun Uhr sein Cousin gestorben ist. Mit dessen Tod erhöht sich für den Prinzen die Aussicht auf den Thron in seiner Heimat. Der Prinz aber möchte daran nicht erinnert werden: „Und wenn eine Krone für mich wäre gewonnen worden, ich hätte jetzt mehr zu tun, als dieser Kleinigkeit nachzudenken.“

Die Staatsinquisition

Am folgenden Abend flüchten die Freunde vor dem Regen in ein am Markusplatz gelegenes Kaffeehaus, in dem einige Personen Karten spielen. Der Prinz beobachtet das Spiel, bis ein Venezianer, den das Glück verlassen hat, den Prinzen in beleidigendem Tonfall auffordert, sich zu entfernen. Die Situation eskaliert, es kommt zu Handgreiflichkeiten und der Prinz wirft den Venezianer zu Boden. Andere Italiener rotten sich zusammen und verlassen das Haus. Die zurückbleibenden Gäste warnen den Prinzen und raten ihm, die Stadt sofort zu verlassen, da der ebenso wohlhabende wie einflussreiche Venezianer versuchen werde, ihn aus der Welt zu schaffen. Plötzlich erscheinen Beamte der venezianischen Staatsinquisition und fordern die Freunde auf, sie zu begleiten. In einer Gondel bringt man sie an einen geheimen Ort und führt sie mit verbundenen Augen in ein Gewölbe. Als man ihnen die Binde abnimmt, stehen sie in einem Kreis schwarz gekleideter Staatsinquisitoren. Der Venezianer wird vorgeführt. Ein greiser Mann fragt den Prinzen, ob dies der Mann sei, der ihn beleidigt habe; der Prinz bejaht. Der Venezianer seinerseits gesteht, er habe den Prinzen ermorden lassen wollen. Vor den Augen des entsetzten Prinzen wird der Mann geköpft.

Die Geisterbeschwörung

Seltsame Begebenheiten und Verwicklungen führen dazu, dass der Prinz sich nach einer langen Gondelfahrt über die Brenta mit großem Gefolge trotz vieler Zweifel auf eine Geisterbeschwörung einlässt, die von einem dubiosen sizilianischen Magier durchgeführt wird. Befragt, welchen Geist er zu sehen gedenke, entscheidet sich der Prinz für den des Marquis von Lanoy, eines Freundes, der in seinen Armen an einer Kriegsverletzung gestorben war. Da der Tod den „Faden seiner Rede“ zerschnitten hatte, möchte der Prinz die „Fortsetzung hören.“ Bei der unheimlichen Beschwörung, eingeleitet durch Blitz und Donner, erscheint an der Wand des Kamins eine bleiche Gestalt mit blutigem Hemd, und eine schwache Stimme ist zu hören. Plötzlich wird der Vorgang durch einen weiteren Donnerschlag unterbrochen und eine „andere körperliche Gestalt, blutig und blass wie die erste, aber schrecklicher“, erscheint und versetzt den Magier in panischen Schrecken. Während die Gesellschaft entsetzt ist und ein englischer Lord den Geist erfolglos mit dem Degen angreift, bleibt der Prinz ruhig, erkennt seinen Freund Lanoy und erfährt in einem kurzen Gespräch, was dieser ihm noch sagen wollte. In einem russischen Offizier, der den am Boden liegenden Magier bedroht und dessen unergründliches Gesicht dem Grafen vorher bereits aufgefallen war, erkennt der Prinz den geheimnisvollen Armenier.

Etwas später wird der Magier verhaftet und seine Darbietung als Täuschung entlarvt; die zweite Erscheinung indes bleibt rätselhaft. Während der Graf auf die Unerklärlichkeit einiger Phänomene hinweist und Übernatürliches nicht ausschließen möchte, beharrt der Prinz auf einer rationalen Erklärung und erkennt eine gegen ihn gerichtete Intrige.

Die Erzählung des Magiers

Obwohl der Prinz die Täuschung durchschaut, haben die Vorgänge im weiteren Verlauf einen verhängnisvollen Einfluss auf sein Wesen und Verhalten. Zunächst gelingt es ihm, mit dem inhaftierten Magier zu sprechen. Dieser erzählt ihm von dem unheimlichen Armenier, dem er schon einmal begegnet sei und der das Schicksal einer bekannten adligen Familie mit beeinflusst habe. Der Armenier erscheint in der detaillierten Erzählung des Magiers als „schreckliches Wesen.“ „Es gibt glaubwürdige Leute, die sich erinnern, ihn in verschiedenen Weltgegenden zur gleichen Zeit gesehen zu haben. Keines Degens Spitze kann ihn durchbohren, kein Gift kann ihm etwas anhaben, kein Feuer sengt ihn, kein Schiff geht unter, worauf er sich befindet. Die Zeit selbst scheint an ihm ihre Macht zu verlieren.". Der lange Bericht des Magiers umfasst auch eine Binnenerzählung, die von einer tragischen Liebesbeziehung handelt; in ihr spielt der geisterhafte Armenier ebenfalls eine zentrale Rolle.

Erneut disputieren die Freunde über den Bericht des Sizilianers; der Prinz verwirft alles als unglaubwürdig und verweist auf die niedere Gesinnung des Mannes ebenso wie auf die Gesetze der Natur. Es liege „im Charakter dieser Art Leute, dass sie solche Aufträge übertreiben und durch das Zuviel alles verschlimmern, was ein bescheidener und mäßiger Betrug vortrefflich gemacht hätte.“ „Wollen Sie lieber ein Wunder glauben, als eine Unwahrscheinlichkeit zugeben? lieber die Kräfte der Natur umstürzen, als eine künstliche und weniger gewöhnliche Kombination dieser Kräfte sich gefallen lassen?“, fragt er den Grafen, der entgegnet: „Wenn die Sache auch eine so kühne Folgerung nicht rechtfertigt, so müssen Sie mir doch eingestehen, dass sie weit über unsre Begriffe geht.“.

Zweites Buch

Der Graf ist nur am Anfang und Ende der Handlung in Venedig anwesend. Über die Entwicklung informieren ihn zehn Briefe des Barons von F., der allerdings selbst nur lückenhaft Kenntnis der Ereignisse hat, da sich ihm der Prinz zunehmend verschließt und von anderen Personen beeionflusst wird, z. B. von einem verwandten Prinzen von**d**, seinem neuen Sekretär Biondello oder dem jungen italienischen Marchese von Civitella, .

Die Geheimgesellschaft Bucentauro

Die Veränderung des Prinzen wird immer deutlicher. Der vorher bescheiden und zurückhaltend Lebende stürzt sich in wilde Feste, lebt verschwenderisch über seine Verhältnisse und häuft Schulden an. Er tritt der ominösen Gesellschaft „Bucentauro“ bei, deren finstere Methoden der Graf zu durchschauen meint.

In der „bigotten, knechtischen Erziehung“ und einer autoritär vermittelten Religion in der Kindheit glaubt der Graf den Grund für die Verirrung des Prinzen zu begreifen. „Alle Lebhaftigkeit des Knaben in einem dumpfen Geisteszwange zu ersticken, war das zuverlässigste Mittel, sich der höchsten Zufriedenheit der fürstliche Eltern zu versichern.“ So sei es nicht verwunderlich, dass der Prinz „die erste Gelegenheit ergriff, einem so strengen Joche zu entfliehen – aber er entlief ihm wie ein leibeigner Sklave seinem harten Herrn, der auch mitten in der Freiheit das Gefühl seiner Knechtschaft herumträgt.“ Die Geheimgesellschaft versteht die Imagination des Prinzen auszunutzen und begünstigt „unter dem äußerlichen Schein einer edeln vernünftigen Geistesfreiheit die zügelloseste Lizenz der Meinungen.“ Dabei vergesse der Prinz, „dass Libertinage des Geistes und der Sitten bei Personen dieses Standes eben darum weiter um sich greift, weil sie hier einen Zügel weniger findet und durch keinen Nimbus von Heiligkeit“ begrenzt werde. Die Mitglieder dieser Gesellschaft beschimpften durch eine „verdammliche Philosophie und durch Sitten, die einer solchen Führerin würdig waren, nicht ihren Stand allein, sondern selbst die Menschheit.“

Die Gesellschaft rühmte sich ihres Geschmacks und feinen Tons, und die scheinbar in ihr herrschende Gleichheit zieht den Prinzen an. Die geistvollen Unterhaltungen von Mitgliedern „der gelehrten und politischen Welt [...] verbargen ihm lange Zeit das Gefährliche dieser Verbindung.“ Schrittweise „ging die reine, schöne Einfalt seines Charakters und die Zartheit seiner moralischen Gefühle verloren.“

Der Graf muss Venedig verlassen und erfährt die weiteren Entwicklungen aus zehn Briefen des dem Prinzen treu ergebenen Barons von F., die den Hauptteil des zweiten Buches bilden. Unter dem Eindruck der neuen Ideen lässt sich der Prinz immer mehr gehen, macht hohe Schulden und lernt den leichtlebigen Marchese Civitella kennen.

Philosophisches Gespräch

Im vierten Brief schildert der Baron ein Gespräch zwischen ihm und dem Prinzen über dessen Zahlungsschwierigkeiten wegen der ausbleibenden Wechsel vom Hof. Dieser scheint immer unglücklicher zu werden und gibt sich in der finanziell bedrängten Situation fatalistisch. Zu Beginn der Begegnung klagt er über sein Leben, seine gesellschaftliche Stellung und seinen Ruf. Er sei als Fürst das Geschöpf der „Meinung der Welt“. Könne er schon nicht glücklich sein, so sei ihm der künstliche Genuss nicht zu verwehren. Er ist offenbar in einer existentiellen Krise und auf der Suche nach einem höheren Sinn seines Lebens, den er am Ende des ersten Romanteils, für den Leser überraschend, in seiner Hinwendung zur katholischen Religion anscheinend gefunden hat.

In dem an diese geschäftliche-private Unterredung anschließenden langen philosophischen Dialog zeigt sich der Prinz jedoch noch von seinen derzeitigen moralphilosophischen Vorstellungen überzeugt. Beeinflusst von Gedanken der Aufklärung postuliert er eine autonome Persönlichkeit, die in ihrer Seele die ethischen Vorstellungen entwickelt: „Beinahe überall können wir mit unserm Verstande den Zweck der physischen Natur bis in den Menschen verfolgen.“ Auch er sei Wirkung einer Ursache, aber er sieht keinen Beweis für die „auswärtige Bestimmung“, die der Baron einfordert, und betont den mit der „moralischen Vortrefflichkeit“ verbundenen „Glückseligkeitstrieb[-] des Menschen“, in dem „die moralische Welt […] ein neues Zentrum“ anlegt, so dass dieser wie ein „Staat im Staate“ alle „seine Bestrebungen einwärts gegen ihn selbst richtet. […] Was mir vorherging und was mir folgen wird, sehe ich als zwei schwarze undurchdringliche Decken an, die an beiden Grenzen des menschlichen Lebens herunterhängen und welche noch kein Lebender aufgezogen hat. Schon viele hundert Generationen stehen mit der Fackel davor und raten und raten, was etwa dahinter dahinter sein möchte. Viele sehen ihren eigenen Schatten, die Gestalten ihrer Leidenschaft, vergrößert auf der Decke der Zukunft sich bewegen.“ Aus dieser begrenzten Erkenntnisperspektive leitet er seine Gedanken über die Ethik ab: „Das moralisch Wesen ist […] in sich selbst vollendet und beschlossen […] Um vollkommen zu sein, um glücklich zu sein, bedarf das moralische Wesen keiner neuen Instanz mehr. […] Was mit ihm werde, muß ihm für seine Vollkommenheit gleichviel sein.“ Die kleinere oder größere Wirkung einer moralisch motivierten Tat sei für ihren Wert gleichgültig. Der Mensch müsse wirken, trage aber für die Folgen keine Verantwortung, weil sie außerhalb seines Einflusses auf die Ereignisketten liege. Am Ende des Dialogs weist der Baron den Prinzen auf den Widerspruch zwischen seiner Theorie und seiner persönlichen Situation hin: „Sie gestehen, daß der Mensch alles in sich schließe, um glücklich zu sein […] und Sie selbst wollen die Quelle ihres Unglücks außer sich suchen. Sind ihre Schlüsse wahr, so ist es ja nicht möglich, daß Sie auch nur mit einem Wunsche über diesen Ring hinausstreben, in welchem Sie den Menschen gefangen halten.“ Der Prinz muss diese Diskrepanz zwischen Idee und Realität eingestehen.

Das Gespräch, das strukturell an einen platonischen Dialog, erinnert, da der Baron nur als Stichwortgeber fungiert, wurde in der zweiten und dritten Buchausgabe von über 20 auf ca. 3 Seiten gekürzt.

Die schöne Frau

Die Abreise aus Venedig, die vom Hofe gefordert wird und auf die der Baron hofft, verzögert sich, weil der Prinz einer schönen Frau verfällt, die er bei einem Ausflug zur Inselgruppe Giudecca in einer dunklen Kirche im Licht des untergehenden Tages erblickt. Er vergöttert ihre Schönheit und beschreibt sie dem Baron mit enthusiastischem Überschwang. „Aber wo finde ich Worte, Ihnen das himmlisch schöne Angesicht zu beschreiben, wo eine Engelseele, wie auf ihrem Thronensitz, die ganze Fülle ihrer Reize ausbreitete?“ Auf die schlichte Beschreibung des Barons, es handele sich um Liebe, verwirft der Prinz das Wort: „Muß es denn notwendig ein Name sein, unter welchem ich glücklich bin? Liebe! – Erniedrigen Sie meine Empfindung nicht mit einem Namen, den tausend schwache Seelen missbrauchen! Welcher andere hat gefühlt, was ich fühle? Ein solches Wesen war noch nicht vorhanden – wie kann der Name früher da sein als die Empfindung? Es ist ein neues, einziges Gefühl, neu entstanden mit diesem neuen einzigen Wesen, und für dieses Wesen nur möglich ! – Liebe! Vor der Liebe bin ich sicher!“ Um seinen weiteren Aufenthalt zu ermöglichen und die Frau persönlich kennenzulernen, geht er auf das Angebot des großzügigen Marchese Civitella ein und borgt sich viel Geld. Die Suche nach der unbekannten Frau, die er zunächst für eine vornehme Griechin hält, die sich aber als adlige Deutsche entpuppt, ist lange Zeit erfolglos; endlich trifft er sie bei einer Schiffsfahrt von Chiozza über Murano nach Venedig, es kommt zu dem lange erwarteten Gespräch, weiteren Begegnungen und einer schwärmerischen Liebesbeziehung: Er verbringt seine Zeit nur noch mit der Angebeteten, und alle Gedanken drehen sich um sie, dass er wie ein Träumender umhergeht und ihn nichts weiter interessiert.

Der Prinz ist schließlich „mit seinem Hofe zerfallen“ und wird in einem Brief heftig angeklagt, ein ausschweifendes Leben zu führen, auf „Visionärs und Geisterbanner“ zu hören und mit katholischen Geistlichen in „verdächtigen Verhältnissen zu stehen.“ Dieser fühlt sich missverstanden und verleumdet und beklagt seine Abhängigkeit vom Regenten: Es gebe nur „einen Unterschied unter den Menschen – Gehorchen oder Herrschen!“

Die Konversion zum Katholizismus

Am Ende des Fragments erfährt der Graf, dem die letzten Briefe des Barons zurückgehalten worden waren, in einem kurzen Schreiben von tragischen Wendungen und rätselhaften Ereignissen: der Marchese wurde schwer verwundet, sein Onkel, der Kardinal A***i, beschuldigt offenbar den Prinzen und beauftragt Meuchelmörder. Die schöne Deutsche hoher, vermutlich illegitimer Abstammung, die sich deshalb vor Verfolgungen verstecken muss, wird vergiftet. Am Sterbebett will sie den Prinzen bewegen, ihr auf dem Weg in den Himmel zu folgen, doch er widersteht dem Wunsch. Nicht nur der Hof, sondern auch seine Schwester Henriette weigern sich, ihn weiterhin finanziell zu unterstützen und begründen dies mit seinem ausschweifenden Lebenswandel und seiner Annäherung an die katholische Kirche: Die „alleinseligmachende Kirche“ habe an dem Prinzen „eine glänzende Eroberung gemacht.“

Der Baron bittet den Grafen, schnell nach Venedig zu kommen, um bei der Rettung des Prinzen zu helfen. Nach seiner überstürzten Reise findet er jedoch eine andere Situation als erwartet vor: der Marchese hat überlebt und sein Onkel ist versöhnt, die Schulden sind bezahlt. Der Prinz empfängt ihn nicht. Der Baron, bettlägerig krank, teilt ihm mit, er könne wieder zurückreisen, der Prinz bedürfe nicht mehr seiner Hilfe. Er sei in den Armen des Armeniers glücklich und höre die erste Messe.

Mit dem Satz „An dem Bette meines Freundes erfuhr ich endlich zu unerhörte Geschichte“ bricht der Roman ab. Viele Fragen des Lesers bleiben offen. Verschiedene Andeutungen im Text lassen vermuten, dass im weiteren Verlauf aufgedeckt werden sollte, die Intrige, der der Prinz die ganze Zeit über ausgesetzt war, sei über seine persönliche Konversion zum Katholizismus hinausgegangen: Es sei darum gegangen, dem Heiligen Stuhl Einfluss auf ein protestantisches deutsches Fürstentum zu verschaffen, außerdem habe der Prinz auf ein Verbrechen vorbereitet werden sollen, mit dem er sich einen ihm nicht zustehenden Thron verschafft hätte.

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